Ukrainischer Giftmüll - ein polnisches Problem
Hexachlorbenzol schädigt langfristig das Erbgut, und bringt auch den gesündesten Menschen irgendwann um. Kein Wunder das niemand diesen Giftmüll haben möchte. Doch bestimmte Menschen werden nicht geschädigt - ganz im Gegenteil: Sie verdienen an jedem Fass. Warum? Das fragen wir uns auch.
(industrietreff) - Gdansk, polnische Ostseeküste. Geschäftig wie immer drehen sich die Frachtkräne der traditionsreichen Hafenstadt. Die hier umgeschlagenen Waren werden auf den riesigen Cargolinern in alle Welt transportiert. Natürlich ist auch der eine oder andere Container dabei, der mehr enthält als das, was die Frachtpapiere aussagen - aber dieses Problem hat jede Hafenstadt, und beschäftigt Zollbeamte weltweit.
Während allerdings bei Drogen, Alkohol, Zigaretten und anderen Schmuggelwaren den Verdächtigen schnell zu Leibe gerückt wird, scheinen beim Thema Giftmüll alle Türen offen. Doch was hier staatlich sanktionsfrei abgeladen wurde, hat das Potential einer Umweltkatastrophe erster Güte. Und ganz nebenbei werden einige Menschen unverdient etwas reicher. Höchste Zeit für etwas Aufklärungsarbeit.
Hexachlorbenzol (HCB) - exakt so giftig wie es sich liest. In den 1940ern als Fungizid für die Getreidewirtschaft auf den Markt gebracht, verbreiteten sich Produktion und Verwendung schnell weltweit. Es dauerte nicht lange und der erste Skandal wurde publik: Zwischen 1955 und 1959 starben in der Region Anatolien (Türkei) geschätzt 500 Menschen an einer HCB-Vergiftung, weitere 4.000 erkrankten teils schwer weil sie Brot aßen, hergestellt aus HCB-behandeltem Getreide. Noch heute leiden die damals Betroffenen unter einer Vielzahl von Spätfolgen.
Im Jahr 1966 verbaten die Vereinigten Staaten die Nutzung von HCB als Pflanzenschutzmittel, Deutschland folgte 1981. Die Stockholmer Konvention von 2001 (Inkrafttreten 2004) dehnte das Verbot mit (aktuell) 179 ratifizierenden Staaten quasi weltweit aus; HCB gehört seit dem zum "Dreckigen Dutzend" - einer Gruppe schädlicher und langlebiger organischer Schadstoffe.
Als chemisches Intermediat - also als Zwischenprodukt in der Herstellungskette anderer Stoffe wie beispielsweise PVC - ist HCB weiterhin erlaubt, allerdings nur von zugelassenen und registrierten Unternehmen. Ebenfalls weiter zulässig, wenn auch umstritten, ist die Verwendung von HCB als Lösungsmittel für andere Pestizide. Automatisch stellt sich die Frage, was mit den Resten und Abfällen nach Nutzung passiert.
In Deutschland ist die Verbrennung von HCB in Sondermüllverbrennungsanlagen an der Tagesordnung, stellte doch beispielsweise der Bayer Konzern HCB bis in die frühen 90er Jahre selbst her. Dass Bau und Betrieb einer solchen Anlage nicht unbedingt günstig sind, versteht sich von selbst. Folglich kann eine Verbrennung von fremdem HCB auch nur gegen Geld stattfinden. Viel Geld.
In Deutschlands Nachbarland Polen haben sich ebenfalls einige Firmen diese Aufgabe zu Eigen gemacht, und mit der Ukraine einen dankbaren Abnehmer der eigenen Leistung gefunden. In der ehemaligen Sovietrepublik lagern noch immer zehntausende Tonnen HCB-durchseuchter Abfälle, welche die vorhandenen Sondermüllanlagen nicht annehmen wollen oder können. Investitionen in eigene zertifizierte Verbrennungsanlagen sind mangels finanzieller Substanz ebenfalls ausgeschlossen. So bleibt die Exportlösung.
Der Export giftiger Abfallprodukte zur sicheren Endlagerung oder zertifizierten Vernichtung im Ausland ist definitiv nichts Ungewöhnliches. Das sich die Empfänger des Giftes auch nur gegen schnöden Mammon zur Vernichtung bereiterklären sollte ebenfalls verständlich sein.
Was allerdings auch nicht verwundert, ist die schlichte Tatsache dass nicht jeder Mensch gleichsam vertrauenswürdig ist. Paart sich dies mit Gier und einer gehörigen Portion Unverfrorenheit, wird es gefährlich für Außenstehende:
Die ukrainische SI BUD Sistem TOV beteiligt sich völlig legal an staatlichen Ausschreibungen zum Abtransport und endgültigen Vernichtung von HCB-Abfällen. In der Vergangenheit wurden solche Ausschreibungen auch gewonnen, und der Abtransport begann - Ziel: Polen. Was dort allerdings mit dem Großteil der Abfälle - genauer: 22.000 Tonnen(!) - geschah, war ungewiss. Die Firma konnte weder eine grobe Dokumentation, noch offizielle Dokumente, welche eine Vernichtung nachweisen könnten, vorweisen. Eine offizielle Untersuchung der staatlichen Stellen blieb nicht ohne Ergebnis: Das Unternehmen hat die Abfälle nach Polen ausgeführt, nur um sie in Gdansk illegal zu deponieren - nur etwa 100 Meter von der Ostsee entfernt. Theoretisch würde ein Starkregen genügen, um die Giftstoffe ins Meer zu spülen.
Die Tatsache, dass die toxischen HCB-Abfälle in unzureichenden Behältnissen (durchrostete Fässer, undichte Plastikbeutel) transportiert wurden, warf natürlich die Frage auf, was mit gebrochenen Behältern, gerissenen Beuteln und Leckagen passierte. Auch hierauf konnte keine Antwort gegeben werden. Sicher scheint nur eines: Die ukrainische Regierung hat Geld für eine Leistung gezahlt, die sie so niemals erhielt.
Aber aus Fehlern lernt der Mensch. Normaler Weise. Allerdings gibt es auch unbelehrbare Mitmenschen: Exakt das Unternehmen, welches nachweislich Schindluder mit den übertragenen Aufgaben treibt, nimmt erneut an diesen staatlichen Ausschreibungen teil - und gewinnt. Diese Logik kann und will man als Außenstehender nicht verstehen. Und ist nicht alleine: Die damaligen Inspektoren bemühen sich um Medienbeteiligung, um den Druck auf die betreffenden Stellen, sowohl in den beteiligten Unternehmen wie auch in der Regierung selbst, drastisch zu erhöhen.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace - hier stellvertretend genannt für viele andere ebenfalls beteiligte Netzwerke und Organisationen - lief bereits Sturm. Der EU-Kommission liegen Anfragen vor, ob, wann und wie endlich eingeschritten wird. Aber auch in Brüssel windet man sich, schweigt sich eloquent aus.
Und während augenscheinlich niemand auch nur auf dem Papier Kontakt zu dieser tickenden chemischen Zeitbombe haben möchte, werden die Behältnisse instabiler, mehr Giftstoffe werden freigesetzt, und verteilen sich langsam aber sicher im Gelände. Zum Meer ist es nicht mehr weit.
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Datum: 18.10.2013 - 17:53 Uhr
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