Warum innovative Medikamente kosten, was sie kosten
(ots) - Krankheiten, die bisher nicht oder nur 
symptomatisch behandelt werden konnten, werden therapierbar: Wir sind
Zeugen eines außergewöhnlichen Innovationsschubes. Neuartige 
Wirkprinzipien, wie sie in Immun- oder Gentherapien zum Ausdruck 
kommen, stehen aber auch wegen ihrer Preise unter Druck.
   http://ots.de/bh6sD5
   Es ist eine Krankheit mit verheerenden Folgen - ein Gendefekt 
raubt Kleinkindern die Chance auf Leben und ihren Eltern jede 
Hoffnung. Zumindest galt das bis zum Jahr 2017. Seitdem gibt es zur 
Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) - bisher die häufigste 
genetisch bedingte Todesursache bei Säuglingen - ein Medikament. Es 
ist das erste seiner Art. Für die Eltern und ihre Kinder dürfte es 
schlicht Alles bedeuten, denn die Babys haben nun die Chance, sich 
normal zu entwickeln. Jahrzehnte der Forschung stecken in dem so 
genannten Antisense-Oligonukleotid.
   Doch nun geht es Schlag auf Schlag. Eine Gentherapie gegen SMA ist
in den USA bereits zugelassen und ein weiteres Arzneimittel wird 
voraussichtlich kommendes Jahr zur Verfügung stehen. Für die 
Patienten und ihre behandelnden Ärzte bedeutet das: Von "Null" auf 
"Therapieoptionen" in kürzester Zeit. Für das Unternehmen Biogen ist 
es eine andere Rechnung. Die Exklusivität auf dem SMA-Markt dürfte 
bald dahin sein - und das hat natürlich Auswirkungen auf die 
erwarteten Einnahmen.
   Neue Medikamente, wo es vorher keine gab: "Eine fantastische 
Nachricht."
   Dr. Wolfram Schmidt, Geschäftsführer bei Biogen Deutschland, nimmt
das sportlich: "Zunächst einmal gilt: Dass es für diese seltene 
Krankheit, für die es vor gerademal zwei Jahren nicht einmal eine 
zugelassene Therapie gab, nun sogar Therapieoptionen geben wird, ist 
eine fantastische Nachricht für die Betroffenen und ihre 
Angehörigen." Trotz der ins Haus stehenden Konkurrenz ist er 
überzeugt von seinem Medikament, auch weil Ergebnisse von Studien bei
früh behandelten Säuglingen, die zwar einen nachgewiesenen Gendefekt,
aber noch keine Symptome zeigen, selbst SMA-Experten überrascht 
haben: Die Kinder haben nicht nur alle überlebt. Eine große Mehrheit 
von ihnen kann ohne Hilfe gehen. Und ja, die Behandlung mit dem 
Arzneimittel kostet Geld.
   Neue Arzneimittel: Was definiert den Preis?
   Anders als viele glauben, braucht ein Unternehmen wie Biogen die 
Einnahmen seiner zugelassenen Arzneimittel aber nicht in erster 
Linie, um die investierten Gelder der vergangenen Jahre oder 
Jahrzehnte hereinzubekommen. "Gerade F&E-Kosten eignen sich nicht zur
Preissetzung oder zur Rechtfertigung von Preisen", schreibt der 
Ökonom Dr. Andreas Jäcker vom Unternehmen Celgene in einem Beitrag 
für die Zeitschrift Recht und Politik im Gesundheitswesen (RPG). "Es 
handelt sich nämlich um sogenannte ''versunkene Kosten'' (''Sunk Costs'')
die nicht mehr entscheidungsrelevant sind." Das heißt zwar nicht, 
dass die eingesetzten Forschungsgelder für die Preisfestsetzung gar 
keine Rolle spielen, aber eben keine entscheidende. Andere Faktoren 
sind viel wichtiger: Welchen Nutzen haben Patienten von dem neuen 
Medikament? Was bedeutet es gesamtgesellschaftlich? Auch die 
Patientenpopulation fließt ein in eine solche Rechnung - das gilt vor
allem bei seltenen Erkrankungen, aber nicht nur: Gerade der 
allgemeine Trend zur Stratifizierung in immer kleinere 
Patientengruppen hat Auswirkungen auf die Einnahme-Potenziale eines 
Medikamentes - und damit auch auf den Preis. Ein weiterer 
Entscheidungsfaktor: Die Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen.
   Wer auf den Preis einer Arzneimittelinnovation schaut, verdrängt 
oft, dass hinter jedem zugelassenen Medikament eine ganze Armada von 
Wirkstoffen zurückgeblieben ist, die es nicht geschafft haben. Auch 
diese Programme kosten Geld und auch davon kann man bei Biogen ein 
Lied singen: Gerade erst hat das US-Unternehmen Phase III-Studien zu 
einem vielversprechenden Präparat einstellen müssen - eine geplatzte 
Hoffnung für viele Alzheimer-Patienten in der ganzen Welt. Noch 
einmal Dr. Wolfram Schmidt: "Viele sagen, das hat die Forschung von 
zwölf Jahren vernichtet. Ich sage: Das stimmt nicht. Wir haben in den
Programmen so viel gelernt - und davon werden die fünf 
Alzheimer-Kandidaten profitieren, die wir in der Pipeline haben." 
Schmidt macht deutlich: "Ich werde oft gefragt: Findet ihr eigentlich
noch Investoren, die bereit sind sich finanziell in das Abenteuer 
Alzheimer zu stürzen?"
   Nun, einfacher dürfte es nicht geworden sein, aber es zeigt eines:
Nur wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind überhaupt in der Lage, 
die Entscheidung für solche Risiko-Programme zu treffen. Auf das 
Beispiel von Biogen übertragen bedeutet das: Nur wenn das Unternehmen
mit seinen zugelassenen Arzneimitteln erfolgreich ist, kann es 
Milliarden in die Forschung stecken. Umgekehrt heißt das: Wer die 
Preise von Arzneimittelinnovationen pauschal verdammt und deshalb 
nach Kürzungen ruft, der könnte die Innovationsdynamik empfindlich 
stören. Das wäre nicht nur für Alzheimer-Patienten eine schlechte 
Nachricht.
   Mukoviszidose: Erste Arzneimittel, die die Krankheit an der Wurzel
packen
   Szenenwechsel. In London tagt das Health and Social Care Committee
des englischen Parlaments (http://ots.de/1LLjYP). Geladen ist Dr. 
Jeffrey Leiden. Der Mediziner ist CEO von Vertex Pharmaceuticals. Er 
hat eine Mission. Das US-Unternehmen gehört nicht zu den Großen der 
Branche, aber es hat bereits groß Medizingeschichte geschrieben. 
Vertex ist das erste und bisher einzige Unternehmen, dem es gelungen 
ist, Medikamente gegen die Ursachen der Cystischen Fibrose (CF) zu 
entwickeln, hierzulande als Mukoviszidose bekannt. CF ist die 
zweithäufigste vererbbare Stoffwechselerkrankung; eine 
lebensverkürzende Multisystemerkrankung, bei der bis vor wenigen 
Jahren nur die Symptome behandelt werden konnten. Sie tritt bei einem
von rund 2.000 Neugeborenen auf. In Deutschland sind rund 6.500 
Menschen betroffen, darunter viele Kinder.
   Die Ausschussmitglieder wollen von Leiden wissen, warum seine 
Medikamente so teuer sind. Das englische Gesundheitssystem hat ihm 
für eines seiner CF-Medikamente einen Erstattungsbetrag angeboten, 
der, so Leiden, 90 Prozent unter dem liegt, den er bereits mit 17 
anderen Ländern (Stand: März 2019) verhandelt hat. "Das ist der 
Preis, den das System heute für ein 25 Jahre altes Medikament zu 
bezahlen bereit ist, das lediglich Symptome der Erkrankung 
behandelt", merkt Leiden in dem Hearing an. Nach eigenen Angaben hat 
er Englands Gesundheitssystem NHS bereits "the best offer in the 
world" angeboten, einfach weil dort die Prävalenz für die Erkrankung 
besonders hoch ist: Zwölf Prozent aller bekannten CF-Patienten der 
Welt leben hier. In Deutschland ist das Gesundheitssystem bereit in 
solche Innovationen zu investieren. Drei der neuartigen CF-Therapien 
stehen Patienten hier inzwischen zur Verfügung, wodurch Kinder - je 
nach Genmutation - bereits ab einem Alter von einem Jahr behandelt 
werden können.
   Länder wie England sind noch nicht so weit. Leiden macht folgende 
Rechnung auf: Sollte sein Unternehmen den 90-prozentigen Abschlag in 
England akzeptieren, rechnet er damit, dass die Länder, mit denen er 
bereits Abkommen geschlossen hat, an seine Tür klopfen und sagen: Das
wollen wir auch. Weltweit würden die Einnahmen von Vertex schrumpfen:
"Unglücklicherweise würde uns das nicht erlauben, die nächste 
Generation von CF-Medikamenten zu entwickeln. Es würde keine 
Dreifach-Kombination geben, die künftig dem Großteil der Betroffenen 
helfen kann und die ich Patienten auf der ganzen Welt versprochen 
habe. Es würde keine Gentherapie geben, die die Heilung bedeuten 
könnte. Und es gäbe keine Therapien gegen Krankheiten wie 
Sichelzellenanämie, an der wir forschen." Denn Vertex müsste dann 
seine Geschäftstätigkeit in den nächsten drei bis fünf Jahren 
einstellen, sagt er. Zurzeit steckt Vertex pro Jahr über eine 
Milliarde US-Dollar in seine Forschungsprogramme.
   Leidens Sätze sind eine in Worte gesetzte Zusammenfassung des 
Geschäftsmodells von forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen. 
"Das ist das Geschäftsmodell. Wir investieren auf Basis von 
Privatinvestitionen für viele Jahre zu einem hohen Risiko und wenn 
wir profitabel werden, graben wir uns Stück für Stück aus dem 
Schuldenloch." In der fast dreißigjährigen Geschichte von Vertex hat 
das Unternehmen nur in den vergangenen drei Jahren Profit gemacht. 
"Jetzt sind wir endlich in der Situation, Cash akkumulieren zu 
können", sagt Leiden. "Cash, das wir einsetzen können, um die 
Geschichte der CF zu beenden oder um weitere Innovationen gegen 
genetische Erkrankungen zu entwickeln."
   Erkrankungen, gegen die bisher zumindest kein Kraut gewachsen ist.
Dauerhaft und nachhaltig kann er das nur, wenn sein Unternehmen 
wirtschaftlich erfolgreich ist und bleibt. Und wenn ihm das gelingt, 
profitieren Patienten und Gesellschaft.
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Datum: 11.08.2019 - 07:45 Uhr
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