Ethikrat diskutierte mit Sachverständigen über die Praxis der Präimplantationsdiagnostik im europäischen Vergleich
(ots) - Der Deutsche Ethikrat arbeitet derzeit an einer 
Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik (PID) und hat sich zum 
Ziel gesetzt, diese Anfang März 2011 vorzulegen. Vor diesem 
Hintergrund hat sich der Rat am 16. Dezember 2010 in einer 
öffentlichen Anhörung über die Regulierung und Praxis der PID in 
Belgien, Großbritannien und Frankreich sowie über aktuelle 
Entwicklungen der genetischen Untersuchung von Embryonen informiert.
   Zu Beginn berichtete Luca Gianaroli, Vorsitzender der Europäischen
Fortpflanzungsmedizingesellschaft ESHRE (European Society of Human 
Reproduction and Embryology) über den Stand der Entwicklung der PID, 
soweit er sich in dem seit über zehn Jahren geführten Register der 
ESHRE widerspiegelt. In dem Register werden die Daten aus 57 von 
etwas über 100 Zentren weltweit gespeichert und ausgewertet. Seit 
1999 bis zum letzten Berichtszeitraum (Behandlungsjahr 2007) wurden 
ca. 28.000 Behandlungszyklen durchgeführt und 4.047 Kinder nach einer
Untersuchung im Embryonalstadium geboren. In ca. 99,5 Prozent aller 
Fälle wurden die zu untersuchenden Zellen am dritten Tag entnommen. 
Aufgrund ihres angenommenen Potenzials, sich zu einem eigenständigen 
Embryo zu entwickeln, ist dies in Deutschland verboten. Insgesamt 
steige jedoch das Interesse, die Untersuchung an Blastozysten, also 
etwa am fünften Tag der Embryonalentwicklung durchzuführen. Zu diesem
Zeitpunkt könnten mehr Zellen entnommen werden, die zudem nur zur 
späteren Bildung der Plazenta bestimmt seien.
   Zur Praxis der PID in Belgien erläuterte der 
Fortpflanzungsmediziner Paul Devroey, das Verfahren für die 
Genehmigung jeder Diagnostik sei schwierig aber transparent. Eine PID
werde an sieben lizenzierten IVF-Zentren in Kooperation mit einem 
humangenetischen Zentrum durchgeführt. Zusätzlich bedürfe sie einer 
Beratung des Paares und positiver Evaluation des Falls durch einen 
Fortpflanzungsmediziner, einen Genetiker, einen Psychologen sowie bei
Bedarf eines Ethikkomitees. Eine offizielle Liste zugelassener 
Indikationen gebe es nicht.
   Aus Großbritannien berichtete Emily Jackson, Juristin und 
Vizevorsitzende der Fortpflanzungsmedizinbehörde HFEA (Human 
Fertilisation and Embryology Authority). Die HFEA ist in 
Großbritannien für die Vergabe von Lizenzen zuständig, die Zentren 
benötigen, um PID anbieten zu können. Sie entscheidet auch darüber, 
welche genetisch und chromosomal bedingten Störungen überhaupt für 
eine PID zulässig sind. Bei dem Beratungsverfahren werde die 
Situation des Paares berücksichtigt und der Rat verschiedener 
Experten wie Mediziner und Patientengruppen herangezogen. Bei 
besonders umstrittenen Diagnosemöglichkeiten - wie z. B. der 
Untersuchung auf Brustkrebsrisikogene - werde auch die Öffentlichkeit
verstärkt in den Beratungsprozess einbezogen. Wenn ein Test aber erst
einmal anerkannt sei, könne jedes lizenzierte Zentrum ihn einsetzen, 
ohne für jeden Einzelfall eine Genehmigung der HFEA einzuholen.
   Patrick Gaudray, Genetiker und Mitglied des Französischen 
Ethikrates, erläuterte das französische Modell, bei dem der PID enge 
Grenzen gesetzt sind, die nur im Rahmen von Novellierungen des 
Fortpflanzungsmedizingesetzes geändert werden können. Derzeit darf 
die PID nur in drei lizenzierten Zentren durchgeführt werden und nur 
bei Familien, die bereits von einer schweren und unheilbaren 
genetisch bedingten Krankheit betroffen seien. Eine Liste konkreter 
Krankheitsanlagen, die untersucht werden dürfen, gebe es nicht, 
stattdessen finde eine Überprüfung jedes Einzelfalles im Rahmen eines
festgelegten Verfahrens statt.
   Im Unterschied zu Frankreich lassen Belgien und Großbritannien 
auch die Suche nach Chromosomenstörungen zu, die nicht bereits im 
Genom der Eltern vorliegen, sondern erst während der Keimzellbildung 
oder Befruchtung entstehen. Solche Screening-Untersuchungen wurden 
nach dem von Gianaroli vorgestellten aktuellsten ESHRE-Datensatz 2007
in knapp 64 Prozent aller PID-Fälle und damit sehr viel häufiger 
eingesetzt als Diagnosen konkret vererbter Krankheitsanlagen. 
Devroey, Jackson und Gianaroli betonten jedoch, dass inzwischen 
vorliegende Untersuchungen gezeigt hätten, dass durch das Screening 
die Geburtenrate entgegen früherer Erwartungen nicht verbessert 
werde. Deshalb müsse dieser Ansatz nach wie vor als experimentell 
gelten, wenngleich es Hinweise gebe, dass neuere 
Untersuchungsmethoden künftig besser Ergebnisse erzielen könnten.
   Ethikratsmitglieder und die zahlreich bei der Anhörung anwesenden 
Mitglieder des Deutschen Bundestages stellten den Experten im 
Anschluss weiterführende Fragen. Von besonderem Interesse waren dabei
die Zahl der für eine PID verwendeten Embryonen. Diese liegt zumeist 
deutlich über den vom deutschen Embryonenschutzgesetz für die Zeugung
nach herrschender Auffassung maximal erlaubten drei Embryonen pro 
IVF-Zyklus. Weiteres Thema waren die Details des 
Entscheidungsprozesses für oder gegen die Untersuchung bestimmter 
genetischer Krankheitsursachen. Aufgrund der unterschiedlichen 
Herangehensweisen an die Präimplantationsdiagnostik und ihre 
Bewertung käme es darauf an, so die Experten, in einem demokratisch 
legitimierten Verfahren zu einer Entscheidung zu kommen, die der 
jeweiligen Gesellschaft und den unterschiedlichen Positionen gerecht 
werde.
   Weitere Informationen zur Anhörung sind unter 
http://www.presseportal.de/go2/praeimplantationsdiagnostik abrufbar.
Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
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Datum: 17.12.2010 - 16:25 Uhr
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