IndustrieTreff - Bosch-Aufsichtsratschef Fehrenbach: Reformen wagen, verlässliche Rahmenbedingungen schaffen

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Bosch-Aufsichtsratschef Fehrenbach: Reformen wagen, verlässliche Rahmenbedingungen schaffen

ID: 986016

Bosch-Aufsichtsratschef Fehrenbach: Reformen wagen, verlässliche Rahmenbedingungen schaffen

(pressrelations) -
Automobilwoche Kongress Berlin

Deutschlands Automobilbranche vor großen Herausforderungen

Fehrenbach: "Branche muss so innovativ bleiben, dass sie sich nicht überfahren lässt."

Offensive in der Globalisierung der Automobilbranche

Flexible und technologieoffene Lösung für CO2-Ziele

Notwendige Reformen und verlässliche Rahmenbedingungen für die automobile Zukunft fordert Franz Fehrenbach, Aufsichtsratsvorsitzender der Robert Bosch GmbH. "Wenn die Politik Deutschlands Exportstärke und damit Deutschlands Industriearbeitsplätze verteidigen will, dann muss sie weiterhin Reformen wagen", betonte Fehrenbach auf dem diesjährigen Automobilwoche Kongress in Berlin. Gerade die Automobilbranche stünde vor großen ökonomischen und technologischen Herausforderungen. Diese würden gemeinsames Handeln von Politik und Industrie verlangen. Mit Blick auf die aktuell laufenden Verhandlungen zwischen den Unionsparteien und der SPD zur Bildung einer Großen Koalition sagte der Bosch-Aufsichtsratschef: "Wirklich groß wird die Koalition nur dann, wenn ihr ein großer Wurf für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gelingt.?

Bei Innovationen nicht nachlassen

Fehrenbach betonte die wirtschaftliche Bedeutung der Automobilbranche. "Die deutsche Automobilindustrie mit ihren knapp 800 000 Arbeitsplätzen steht wie kaum eine andere Branche für die Wirtschaftskraft dieses Landes." Er wies darauf hin, dass insbesondere Automatisierung, Elektrifizierung und Vernetzung des Fahrens große technologische Herausforderungen seien. Zudem verbesserten asiatische Hersteller konsequent ihre Wettbewerbsfähigkeit und erschlössen sich neue Absatzmärkte. Es könne, so Fehrenbach weiter, nur eine Strategie geben: "Diese Branche muss so innovativ bleiben, dass sie sich nicht überfahren lässt."

Globalisierung: Noch lange nicht zu Ende

Da für den europäischen Markt mittelfristig kein Aufschwung zu erwarten sei, mahnte Fehrenbach eine weitere Offensive in der Globalisierung der Branche an. Schon 2016 werde jedes zweite Fahrzeug in der Region Asien/Pazifik verkauft. Der Anteil Chinas an der weltweiten Automobilproduktion steige bis 2020 von aktuell 23 auf dann 29 Prozent. "So sehr wir die Märkte in aller Welt nur mit Produktion in aller Welt gewinnen können, so wenig dürfen wir die wesentlichen Stärken des Standorts Deutschland verlieren: Qualität und Innovationskraft", so der Bosch-Aufsichtsratschef. Aber nicht nur die Absatzmärkte verschöben sich weiter. Gleichzeitig intensivierten asiatische Automobilhersteller ihre Verkaufsanstrengungen in Zukunftsmärkten wie Südostasien, Südamerika und Afrika.





Handlungsfelder: Energiewende und CO2-Gesetzgebung

Fehrenbach sieht bei der Gestaltung der (auto-)mobilen Zukunft auch die Politik in der Verantwortung. Sie müsse notwendige Reformen, wie beispielsweise die der Wiener Straßenverkehrskonvention (als Voraussetzung für automatisiertes Fahren), umsetzen. Die Politik müsse ebenfalls für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen. Fehrenbach sagte, dass insbesondere die Energiepreise sich zunehmend zu einem Standortnachteil entwickeln würden. Industriestrom dürfe in Deutschland nicht teurer werden als in allen anderen Ländern. "Von der Energiewende müssen wir nicht bloß saubere, vielmehr auch bezahlbare und zuverlässige Stromversorgung erwarten."
Investitions- und Rechtssicherheit forderte Fehrenbach bei der Klimaschutz-Regulierung der EU bzw. der CO2-Gesetzgebung. Nur dann könnten sich neue Effizienztechniken durchsetzen und verbreiten. Fehrenbach sprach sich hier für eine flexible und technologieoffene Lösung aus. Sie sollte auch Öko-Innovationen außerhalb des genormten Fahrzyklus und unabhängig von der Fahrzeuggröße berücksichtigen. "Innovationen müssen in allen Klassen realisiert werden, zum Beispiel durch stärkere Anreize für Niedrigemissionsautos über Supercredits."

Intelligentes Straßennetz für den Verkehr von morgen

Fehrenbach sprach sich auf der Branchenveranstaltung auch für mehr Investitionen in ein intelligentes Straßennetz aus. "In Zukunft setzen die modernsten Fahrzeuge die modernste Infrastruktur voraus." So könne beispielsweise die Vision vom automatisierten und damit unfallfreien Fahren nur Realität werden, wenn neben den Fahrzeugen auch die Infrastruktur intelligent und zum Datenaustausch fähig sei. Nur dadurch lasse sich beispielsweise eine intelligente Verkehrslenkung in Ballungsräumen realisieren. Gleichzeitig könne das knappe Gut des staufreien Fahrens mit einem Preis für Zeit und Strecke versehen werden. Fehrenbach sieht zusätzliche Potenziale eines intelligenten Maut-Systems: "Eine elektronische Maut könnte auch für weitere Services geöffnet werden.". Der Bosch-Aufsichtsratschef sprach sich ausdrücklich gegen eine finanzielle Mehrbelastung der Autofahrer durch eine Maut aus.

Oh Lord, won't you buy me ?
Wohin fährt die deutsche Automobilindustrie?

Abendrede von Franz Fehrenbach, Vorsitzender des Bosch-Aufsichtsrats, zum Automobilwoche-Kongress am 21. November 2013

I. Einleitung
Es ist die Anbetung des Autos, meine Damen und Herren ?
? die Janis Joplin vom Papst unterscheidet. "Oh Lord, won?t you buy me.? Das waren noch Zeiten, als die Woodstock-Ikone ihre Hymne auf die deutschen Automarken sang. Inzwischen hat der Papst einen uralten R4 zum Statussymbol erhoben. Selbst die Deutschen haben laut Spiegel vor lauter Emissionshysterie angeblich die Lust am Auto verloren. Und die Jugendlichen in aller Welt scheinen auf dem Smartphone abgefahren. Das alles könnte die deutsche Automobilindustrie zur Verzweiflung bringen - eigentlich.

Doch gemach, wir lesen ja schließlich auch die Automobilwoche. Ihr Chefredakteur ist hier in Berlin unter den Linden vor den Niederlassungen von VW und Mercedes spazieren gegangen. Er berichtet von Jugendlichen, die begeistert ihre Handy-Kameras vor den Schaufenstern zücken. Und er zitiert Studien, nach denen Automarken als Statussymbole bei jungen Leuten immer noch weit vor dem i-Phone rangieren. Wenn sich der Nachwuchs vom Fahren abwende, dann nicht etwa, weil es uncool wäre, vielmehr weil es zu teuer sei. Der Führerschein, die Versicherung, die Steuer - da werde das eigene Auto erst mal unerreichbar, das Smartphone zur Ersatzbefriedigung. Eine wohltuend nüchterne Sicht, wie ich finde. Zwar sehen wir sehr wohl, dass der Anteil der Fahrzeugbesitzer unter Dreißig schon vor der Krise leicht gesunken ist. Aber das Auto ist nicht etwa "out" - wir dürfen unsere Pferdestärken nicht scheu machen. Wir sollten differenzieren - und um solch eine differenzierte Sicht möchte ich mich heute Abend in meinen Worten über die Chancen und Herausforderungen der deutschen Automobilindustrie bemühen.

In der Sache geht es um viel: Die deutsche Automobilindustrie mit ihren knapp 800 000 Arbeitsplätzen steht wie kaum eine andere Branche für die Wirtschaftskraft dieses Landes. Doch wie dauerhaft oder flüchtig ist ihr Erfolg? Das ist meine Ausgangsfrage. Gerade weil die Branche so wichtig ist, polarisiert sie die Öffentlichkeit - also sind die Ansichten in der Debatte durchaus kontrovers. Die einen sagen: Wir stehen gut da und verweisen auf Exportstärke und Innovationskraft. Die anderen fragen: Wie lange geht das noch gut? Sie betonen Herausforderungen wie Elektrifizierung und Automatisierung des Fahrens - vor allem schauen sie über den Atlantik und behaupten, in Kalifornien werde das besser gemeistert als in Deutschland. Im Harvard Business Manager war kürzlich ein Aufsatz über die "big bang disruptions" nachzulesen. Darin werden die technologischen Umstürze in der IT-Branche beschrieben, die immer wieder zum Untergang großer Namen geführt haben. Aber lassen sich solche Gefahren auf die Automobilbranche übertragen - das ist die Frage. Meine Antwort kann nur lauten: Diese Branche muss so innovativ bleiben, dass sie sich nicht überfahren lässt.

II. Bestandsaufnahme: Politische und ökonomische Aufgaben

Zunächst aber kommen wir um eine Bestandsaufnahme nicht herum. Was also sind, in groben Zügen, die Schwächen, was die Stärken der deutschen Automobilindustrie?

Da ist zum einen: die Produktion in einem Hochkostenland, der große Absatzanteil im nachfrageschwachen europäischen Markt.

Was zum anderen zählt: die gerade in Krisenzeiten flexible Sozialpartnerschaft, die Qualität und die qualifizierten Mitarbeiter, die Innovationskraft, die Erfolge auch in wichtigen Zukunftsmärkten wie China.
Dies ist bekannt, doch endet das Marktgeschehen niemals mit einem Matchball - Vorsprünge müssen Satz für Satz immer wieder neu errungen werden. Was tun? Dazu erste politische und wirtschaftliche Anhaltspunkte:

Von der Politik dürfen wir fordern, dass die sich anbahnende Große Koalition weder zu den größtmöglichen Kosten führt noch zum kleinsten gemeinsamen Nenner schrumpft. Ebenso wie die Tarifpartner hat die Agenda 2010 ganz wesentlich die deutsche Wirtschaft dynamisiert, eine der beiden Volksparteien aber dezimiert. Doch auch die Globalisierung ist hart: Wenn die Politik Deutschlands Exportstärke und damit Deutschlands Industriearbeitsplätze verteidigen will, dann muss sie weiterhin Reformen wagen. Auch sie kann in diesen Standort investieren. Nötig ist ein Projekt, das aufs Neue Wachstumskräfte in der Gesellschaft freisetzt - und dafür sollte gerade eine breite Mehrheit Strukturveränderungen nicht scheuen, sie könnte im Gegenteil diese Veränderungen legitimieren. Wirklich groß wird die große Koalition nur dann, wenn ihr ein großer Wurf für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes gelingt.

Von der Energiewende müssen wir eine nicht bloß saubere, vielmehr auch bezahlbare und zuverlässige Stromversorgung erwarten. Wer von Deutschland als Hochkostenland spricht, meint zumeist die Löhne. Umso mehr gilt es zu verhindern, dass der Industriestrom hierzulande teurer wird als in allen anderen Ländern. Dazu reduziert sich die Debatte allzu sehr auf die EEG-Umlage. Die Sache selbst ist weit komplizierter: Es geht um eine Reform der Preisbildung - also darum, dass im Energiemarkt wieder mehr Marktwirtschaft gilt. Die kommende Energieinfrastruktur muss refinanziert werden, ohne dass staatlich festgelegte Preise der Standard bleiben - und vor allem: ohne dass ein Standortnachteil für die deutsche Industrie entsteht.

Von uns selbst müssen wir eine weitere Offensive in der Globalisierung unserer Branche verlangen - schon deshalb, weil sich der europäische Markt kurzfristig kaum durchgreifend und nachhaltig erholen wird. Immerhin hat das Pkw-Durchschnittsalter in Europa mit nahezu neun Jahren bereits Rekordhöhe erreicht, das spricht für Ersatzbedarf und damit zumindest für eine allmähliche Belebung. Doch Dynamik ist anderswo. Schon 2016 wird jedes zweite Fahrzeug in der Region Asien/Pazifik verkauft. Dabei hat China überhaupt erst ein Zehntel der westeuropäischen Fahrzeugdichte erreicht. Dieses Land wird bis Ende des Jahrzehnts seinen Anteil an der weltweiten Automobilproduktion von 23 auf 29 Prozent steigern, soviel wie Europa und Japan zusammen. Die deutschen Automobilhersteller sind gerade hier mehr als nur dabei, doch müssen sie andere Märkte im Blick behalten. Auch der Anteil der südostasiatischen Länder an der Weltautomobilproduktion legt bis 2020 zu, von fünf auf sieben Prozent. Dort und nicht auf den etablierten Märkten greifen in zunehmendem Maße auch die chinesischen Automobilhersteller an, ebenso wie sie das in Südamerika und Afrika tun. Die Globalisierung ist also noch lange nicht zu Ende. Seit 2005 haben die deutschen Automobilhersteller den Auslandsanteil an ihrer Produktion von der Hälfte auf inzwischen zwei Drittel erhöht - übrigens im Gleichschritt mit den Japanern. Es spricht viel dafür, dass sich diese Tendenz fortsetzt, und das auch bei den Zulieferern.

So sehr wir die Märkte in aller Welt nur mit Produktion in aller Welt gewinnen können, so wenig dürfen wir die wesentlichen Stärken des Standorts Deutschland verlieren: Qualität und Innovationskraft. Bisher können wir uns gleich doppelt, wenn man so will, auf eine "Kraft der Mitte" stützen. Das heißt zum einen: Die Struktur der Industrie wird in Deutschland nicht wie anderswo von wenigen großen Konglomeraten bestimmt, sie ist immer noch überwiegend mittelständisch geprägt. Ob in Niedersachsen oder in Bayern und Baden-Württemberg - die Innovationskraft der Automobilbranche geht hierzulande auch aus regionalen Clustern hervor, mit vielen Forschungseinrichtungen und unabhängigen Zulieferern. Zum anderen zeigt sich der Wert der Mitte im Bildungssystem: Denn wichtig für die Qualität unserer Automobilindustrie sind nicht zuletzt die mittleren Abschlüsse, wie sie aus dem dualen Berufsbildungssystem hervorgehen - also die Facharbeiter. Das alles zählt auch in Zukunft. Doch muss es zu denken geben, dass ein Land wie China jährlich mehr als zwei Millionen Jungingenieure hervorbringt. In Deutschland sind es, zum Vergleich, gerade mal 50 000. Schon dieser erdrückende Unterschied der Zahlen zeigt: Das Land, das nach dem Auto auch das ABS erfunden hat, ist keineswegs für alle Zeiten als Innovationsweltmeister gesetzt.
Wenn ich sage, seine Zukunft steht und fällt mit der Bildung, dann ist das längst ein Gemeinplatz - doch Taten sind den schönen Worten von der Bildungsrepublik viel zu wenig gefolgt. Warum liegt Deutschland nach dem Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt immer noch im unteren Mittelfeld der Industrieländer? Warum haben wir das Gymnasium so sehr verdichtet, das Studium so sehr verschult, dass kaum noch Zeit und Raum für Kreativität bleibt? Auch die Industrie kann selbst etwas tun, sie tut es auch - etwa mit einer Initiative wie der Wissensfabrik, die technisches und ökonomisches Interesse schon in Kindergärten und Grundschulen fördert. Dies ist Standortsicherung der nachhaltigsten Art. Denn wie ich noch etwas vertiefen möchte, liegen ganz wesentliche Herausforderungen unserer Branche doch vor allem in der Technik. Und ohne qualifizierten und zugleich kreativen Nachwuchs, sei es in Software, Elektrochemie oder auch Materialkunde, ist alles nichts.

III. Erstes Innovationsfeld: Effizienz und Elektromobilität

Dabei gibt es ein Thema, meine Damen und Herren, das beschäftigt die Automobilindustrie gleichermaßen technisch wie wirtschaftlich und politisch. Es ist die Klimaschutz-Regulierung der Europäischen Union - konkret die für 2020 geplante Vorschrift, dass die Neuwagen-Flotten der Fahrzeug-Hersteller im Schnitt nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürfen. Die Debatte trägt - wie so oft, wenn es ums Auto geht - leicht irrationale Züge. Da wird der deutschen Automobilindustrie, obwohl oder gerade weil sie für den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes so wesentlich ist, Lobbyismus unterstellt, als wäre das eine Teufelei. Da entsteht beinahe der Anschein, als sei diese Industrie hauptverantwortlich für den weltweiten Klimawandel. Tatsächlich tragen Gebäude weit mehr zum Kohlendioxidausstoß bei als der Straßenverkehr. Und die deutschen Heizungen werden im Schnitt nur alle 24 Jahre ausgetauscht - das ist, als wäre der Golf 2 noch immer das meist gefahrene Auto auf unseren Straßen. Doch der Heizkessel bleibt im dunklen Keller der Debatte, das Auto dagegen, blitzblank sichtbar für jedermann, gilt als der Klimawandler Nummer eins. Bitte mich nicht missverstehen: Die deutsche Automobilindustrie, Bosch eingeschlossen, muss kommenden Regulierungen möglichst vorausarbeiten. Aber auch in der Sache geraten in der Debatte immer wieder die verschiedenen Ebenen durcheinander - die technische, die wirtschaftliche und die politische. Auch dazu möchte ich mich um Klarheit bemühen:

Technisch halte ich das geplante CO2-Ziel für ambitioniert, aber für machbar. 20 Prozent weniger Verbrauch von Diesel- und Benzinmotoren selbst gegenüber dem Stand von 2012 - das schaffen wir durchaus. Und damit können kleine Fahrzeuge das 2020er-Ziel ohne, mittlere Fahrzeuge mit wenig Elektrifizierung erreichen. Vor allem Fahrzeuge der Oberklasse benötigen jedoch Zusatzpakete wie etwa den Plug-in-Hybrid. Entsprechend fächern sich die alternativen Antriebe zwischen kleinen und großen Lösungen auf.

Dem steht die wirtschaftliche Betrachtung gegenüber. Der Aufwand ist hoch, besonders für die Hersteller großer Fahrzeuge. Kaum weniger hoch ist die Unsicherheit, wann alternative Antriebe tatsächlich den Markt durchdringen. Das und die Sorge um die Arbeitsplätze ist der Hintergrund der derzeitigen Kontroverse zwischen deutscher Politik und Industrie auf der einen Seite sowie der EU-Kommission auf der anderen. Es geht nicht darum, den Klimaschutz in Zweifel zu ziehen, es geht darum, wie sich der Klimaschutz in allen Fahrzeugklassen rechnet. Denn ein Einheitsauto kann niemand wollen.

Politisch betrachtet, darf die Regelung der CO2-Grenzwerte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Denn mit Investitions- und Rechtssicherheit steht und fällt die Verbreitung von Effizienztechniken. Allerdings kommt es auf eine flexible und technologieoffene Lösung an - eine Lösung, die auch Öko-Innovationen außerhalb des genormten Fahrzyklus berücksichtigt. Vor allem kann es nicht im Sinne der deutschen Automobilindustrie sein, dass die EU über den Klimaschutz einen Trend zum Kleinwagen verordnet, während in anderen Weltregionen nach wie vor SUV und größere Limousinen gefragt bleiben. Schon deshalb gilt es, Innovationen in allen Klassen anzuspornen, zum Beispiel durch stärkere Anreize für Niedrigemissionsautos über Supercredits.

Zu einfach wäre jedoch die Annahme, als würde das Elektroauto ausschließlich mit der verschärften CO2-Regulierung forciert. Denn durchsetzen wird es sich nicht als Verzicht-, sondern als Komfortfahrzeug - es muss bezahlbar werden, aber auch Spaß machen, elektrisch zu fahren. Zudem konvergieren die Hauptlinien der automobilen Entwicklung. Denn je mehr Elektrifizierung des Antriebs, je zuverlässiger die elektrische Versorgung im Fahrzeug, desto einfacher die Automatisierung des Fahrens. Und genau wie das automatisierte setzt das elektrische Fahren die Vernetzung via Internet voraus. Denn langfristig wird eine dezentrale Energieinfrastruktur kommen - mit Autos als Stromspeicher und mit Ladesäulen an vielen Parkplätzen. Steuern lässt sich solch ein Straßenverkehr nur über das Internet der Dinge und Dienste. Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung greifen also ineinander.

Hier deutet sich also ein größerer Umbruch an. Und selbst wenn es keine Revolution, sondern nur eine Evolution zur Elektromobilität geben wird, tut die deutsche Automobilindustrie gut daran, in ihren hohen Vorleistungen nicht nachzulassen. Dies wird schon wegen der Höhe der nötigen Investitionen noch zu manch ungewöhnlicher Partnerschaft führen. Zwar ist es richtig, dass wir in Sachen Elektromobilität ein Jahrzehnt des Lernens durchlaufen. Aber bei aller Ausdauer, lernen müssen wir schnell - etwa im Zentrum für Leistungselektronik, wie wir es gemeinsam mit Hochschulen im Großraum Stuttgart gegründet haben. Es gab schon einmal einen alternativen Antrieb, das war der Diesel. Seinerzeit war die deutsche Automobilindustrie, Bosch inklusive, an der Spitze des Fortschritts - heute dürfen wir nicht weniger ehrgeizig sein.

IV. Zweites Innovationsfeld: Vernetzung und Automatisierung

Auch auf dem Weg zum automatisierten Fahren sind die Erfolge von gestern nur so viel wert, wie wir sie als Ansporn verstehen. Bosch hat auch hier technische Pionierleistungen hervorgebracht, das ESP® ebenso wie das ABS. Solche Systeme haben wesentlich dazu beigetragen, die jährliche Zahl der Unfalltoten zu vermindern, allein in Deutschland seit 1970 von 20 000 auf weniger als 4 000. Aber seit einigen Jahren, das gibt zu denken, geht diese Zahl hierzulande kaum noch zurück, international steigt sie sogar an. Eben deshalb ist es so wichtig, jede Sicherheitslücke zu schließen, etwa durch Stabilitätskontrolle für Motorräder. Und eben deshalb mehren sich in allen Teilen der Triade die Unfallschutz-Programme. Ganz wichtig zum Beispiel: das neue Ratingschema für die Fahrzeugsicherheit in Europa, nach dem Neuwagen die Höchstnote nur noch dann bekommen, wenn sie mindestens einen Fahrerassistenz-Sensor an Bord haben. Das gibt dem Geschäft mit den entsprechenden Systemen den lang erwarteten Schub - in den kommenden Jahren legt der Markt voraussichtlich jeweils um ein Drittel zu. Aber genauso wie wir den Hybridantrieb als Brückentechnik zur

Elektromobilität verstehen, sind die Systeme der Fahrerassistenz Zwischenschritte zum unfallfreien und automatisierten Fahren.
Einen Staupiloten zum Highway-Piloten zu entwickeln, das ist nur das eine. Das andere ist das automatisierte Fahren im Stadtverkehr - und dafür braucht es noch erhebliche Fortschritte: beim Sicherheitsnachweis, bei Sensorik und Elektronikarchitektur sowie in der Genauigkeit und Aktualität der Umfeldkarten. Dieser letzte Punkt setzt voraus, dass die Fahrzeuge ständig Informationen über Glätte, Nässe und Hindernisse aller Art austauschen, sei es mit der Infrastruktur oder auch untereinander. Automatisiertes Fahren wird vernetztes Fahren sein - je ambitionierter die Sicherheitsfunktionen, desto mehr Vernetzung.

Hier zeigt sich wiederum, dass es nicht bloß um die Fortschreibung bestehender Automobiltechnik geht. Vielmehr greifen die Entwicklungen so sehr ineinander, dass sich eine neue Art des Straßenverkehrs abzeichnet. Was aber muss die Industrie, was die Politik dafür tun, dass diese neue Art des Verkehrs in voller Breite zuerst in Deutschland erlebt werden kann? Um über die Prototypen-Phase hinauszukommen, müssen sich auch politische Rahmenbedingungen verändern.

Notwendig ist nicht allein die Reform der Wiener Straßenverkehrskonvention, um automatische Fahrmanöver und Fahrzeuginteraktionen rechtlich abzusichern. Auch die Infrastruktur muss stimmen, und dafür können wir gerade auch in Europa, gerade auch in Deutschland, noch einiges tun. Wer derzeit von Verkehrsinvestitionen spricht, denkt meist an die Sanierung maroder Straßen und Brücken. Das ist wichtig, aber für den Verkehr von morgen zu wenig. Das Straßennetz muss auch intelligenter werden.

Projekte gab es dazu schon einige - SimTD, Storm, und selbst bei Prometheus Ende der 1980er Jahre dachten unsere Ingenieure bereits an die Car2X-Communication, bloß nannten sie es damals noch Interautofunk. Es gibt neue Ansätze, etwa den Mobilitäts-Datenmarktplatz MDM, der einen offenen Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen verschiedener Hersteller, Straßenbehörden, Infrastrukturbetreibern und Service-Providern etablieren soll. Wichtig aber auch: dass Autofahrer den Nutzen von Car2X möglichst bald und unmittelbar erleben. In die richtige Richtung weist zum Beispiel das Projekt Eurokorridor, das entlang der Strecke von Rotterdam über Frankfurt nach Wien die frühzeitige Mobilfunk-Warnung vor Wanderbaustellen ermöglichen soll. Es ist gut, dass solche Dienste grenzüberschreitend erprobt werden, sie sollten aber auch bald flächendeckend kommen.

Auf Car2X darf nicht bloß allseitig gewartet werden - etwa indem die Infrastrukturbetreiber auf die entsprechende Fahrzeugausrüstung warten, die Fahrzeughersteller auf die entsprechende Infrastruktur. Auch der Datenaustausch unter den Fahrzeugen unterliegt einem Effekt, den die Volkswirte Netzwerk-Externalität nennen. Sein praktischer Nutzen ist mit wenigen Beteiligten wenig erfahrbar, erst mit vielen macht er viel Sinn. Angesichts solcher Probleme muss die Industrie in Vorleistung gehen, die Politik kann aber sehr wohl eine treibende und koordinierende Kraft sein. Dies ist mehr als nur eine Investition in den Verkehr von morgen. Denn intelligente Straßen fördern innovative Fahrzeuge. Auch dieser Zusammenhang kann dazu beitragen, dass die deutsche Automobilindustrie widerstandsfähig gegenüber Disruptionen aus anderen Branchen und anderen Teilen der Welt bleibt. Kürzlich war in Spiegel Online die Überschrift zu lesen "Kunden würden Apple-Autos kaufen". Zwar war die zugrunde liegende Studie alles andere als repräsentativ. Aber wer nicht will, dass Kassandra recht behält, muss sie ernst nehmen.

V. Das Tabu Pkw-Maut: Plädoyer für eine intelligente Lösung

Wie auch immer die Infrastruktur fit gemacht wird für den Verkehr von morgen, die Modernisierung verursacht Kosten. Schon deshalb sollte die Pkw-Maut kein Tabu bleiben. Nicht, dass ich mich am Ende meiner Ausführungen mit solch einem Plädoyer unbeliebt machen wollte. Durchaus ist mir klar, dass die deutschen Autofahrer schon jetzt über Gebühr belastet werden. Sie steuern acht Prozent zu den jährlichen Einnahmen des Fiskus bei - und bekommen dafür viel zu wenig Straßenbau und Infrastruktur zurück. Das darf so nicht bleiben. Es gibt also eine berechtigte Enttäuschung über die Politik, die Mittel immer wieder zweckentfremdet verwendet - zum Stopfen von Ausgabenlöchern statt von Schlaglöchern. Aber es gibt noch eine Enttäuschung anderer Art: die Frustration der Pendler über den Verkehrsinfarkt rund um die großen Städte an jedem Morgen und jedem Abend. Ein Straßennutzungssystem, intelligent eingeführt, könnte dieses Problem wenn nicht verhindern, so doch lindern. Wenn die Pkw-Maut also kommt, dann bitte nicht über eine "dumme" Vignette, sondern über ein elektronisches System, das gerade vielbefahrene Straßen teurer macht. In der Tat gibt es technische Möglichkeiten wie die GPS-Ortung, um das knappe Gut des staufreien Fahrens mit einem Preis zu versehen - und das hoch aufgelöst nach Zeit und Strecke. Selbst das lokal emissionsfreie Fahren ließe sich entlang besonders belasteter Verkehrsadern gezielt vergünstigen. Das ist intelligente Verkehrslenkung - und dabei hat die elektronische Maut durchaus noch mehr Potenzial: Sie könnte für weitere Services geöffnet werden - etwa zum Sammeln und Verteilen von Daten, wie wir sie für das hochautomatisierte Fahren benötigen. Hier schließen sich viele Kreise. Und auch hier gilt meine These: In Zukunft setzen die modernsten Fahrzeuge die modernste Infrastruktur voraus. So betrachtet, können Politik und Wirtschaft zusammenwirken, damit die deutsche Automobilindustrie nicht von anderen überholt oder gar überfahren wird.

"Oh Lord, won?t you buy me" - die Zeiten solcher Lobgesänge voller Produktplacement sind wohl vorbei. Aber warum finden es heute so viele Chinesen so cool, deutsche Limousinen zu fahren? Doch nicht nur der Schönheit wegen - die Bewunderung hat mehr als wunderbare Gründe. Sie gilt, da bin ich mir sicher, immer auch der Ingenieurskunst. Aber Spitze, davon bin ich ebenso überzeugt, bleiben die deutschen Autos nur dann, wenn die Zukunft des Fahrens auch und vor allem in Deutschland erfahren werden kann.

Die Schlussfrage aber ist, ob dieses Land auch wirklich Spitze bleiben will. Wäre es ein Fahrzeug, die laufende Regierungsbildung ein Engineeringprozess, dann sind Zweifel erlaubt. Hoher Verbrauch, blockierende Räder - damit würde das neue Modell nicht einmal die geltenden politischen Vorgaben erfüllen. Es wäre doch schon viel, wenn die Politik so effizient wäre, wie sie es von der Industrie verlangt.


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Datum: 22.11.2013 - 11:51 Uhr
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