Mehr als 5000 deutsche Wissenschaftler haben in scheinwissenschaftlichen Zeitschriften publiziert
(ots) - 
   Sperrfrist: 19.07.2018 06:00
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   Mehr als 5000 deutsche Wissenschaftler haben in 
scheinwissenschaftlichen Zeitschriften publiziert. Das ergaben 
Recherchen von NDR, WDR und dem Süddeutsche Zeitung Magazin zusammen 
mit weiteren nationalen und internationalen Medien. Demnach haben 
Forscherinnen und Forscher deutscher Hochschulen, Institute und 
Bundesbehörden oft mit öffentlichen Geldern finanzierte Beiträge in 
wertlosen Online-Fachzeitschriften scheinwissenschaftlicher Verlage 
veröffentlicht, die grundlegende Regeln der wissenschaftlichen 
Qualitätssicherung nicht beachten. Weltweit sind den Recherchen 
zufolge 400.000 Forscherinnen und Forscher betroffen. Das Phänomen 
der pseudowissenschaftlichen Verlage ist zwar seit einigen Jahren 
bekannt. Deutsche Hochschulen und Forschungsgesellschaften hatten 
bereits mehrfach davor gewarnt. Neu sind jedoch das Ausmaß und die 
rasant gestiegenen Zahlen. Die Zahl solcher Publikationen bei fünf 
der wichtigsten Verlage hat sich den Recherchen zufolge seit 2013 
weltweit verdreifacht, in Deutschland gar verfünffacht.
   Die Recherchen zeigen: Pseudowissenschaftliche Verlage nutzen den 
Publikationsdruck, der auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern 
lastet, und sprechen sie per E-Mail an. Die Betroffenen publizieren 
Forschungsergebnisse gegen Zahlung teilweise hoher Gebühren in diesen
über das Internet verfügbaren Journalen, die von Unternehmen in 
Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben 
werden. Die Firmen behaupten, Forschungsergebnisse wie international 
üblich vor Veröffentlichung anderen erfahrenen Wissenschaftlern zur 
Prüfung und Korrektur vorzulegen. Den Recherchen zufolge geschieht 
dies jedoch meist nicht. Eingereichte Studien werden oft binnen Tagen
publiziert. Dadurch gelangen nicht selten fragwürdige Studien mit 
scheinbar wissenschaftlichem Gütesiegel an die Öffentlichkeit. Viele 
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden den Recherchen 
zufolge Opfer dieser betrügerischen Praktiken. In anderen Fällen 
jedoch haben Autorinnen und Autoren offenbar gezielt die Dienste 
solcher Verlage genutzt, um Forschungsbeiträge schnell zu 
veröffentlichen, ohne sich der Kritik von Kollegen zu stellen.
   In Deutschland treten als Autoren bei zahlreichen derartigen 
Veröffentlichungen prominente Hochschullehrer auf, so die Aachener 
Günther Schuh und Achim Kampker, die als Entwickler des 
Elektrotransporters Streetscooter bekannt wurden, sowie Peter Nyhuis 
aus Hannover, führendes Mitglied des nationalen Wissenschaftsrats, 
und der Rektor der Universität Bremen, Bernd Scholz-Reiter. Schuh 
sagte, er habe dieses Phänomen bis dato nicht gekannt und habe 
umgehend seine Mitarbeiter angewiesen, nicht mehr auf solchen 
Plattformen zu veröffentlichen. Kampker verwies auf laufende 
universitätsinterne Ermittlungen. Nyhuis äußerte sein Bedauern und 
erklärte, man sei "nicht wissentlich einem System aufgesessen". Er 
habe solche Veröffentlichungen an seinem Institut nach Bekanntwerden 
sofort gestoppt. Scholz-Reiter erklärte, dass ihm damals die 
Machenschaften dieser Verlage unbekannt waren und er sie heute 
verurteile. Große deutsche Pharmaunternehmen haben in 
scheinwissenschaftlichen Verlagen veröffentlicht, Skeptiker des 
Klimawandels verbreiten in diesen Journalen ihre Theorien. Auch 
Mitarbeiter von zwölf der dreißig Dax-Unternehmen finden sich in den 
Publikationslisten und Konferenzprogrammen.
   Zahlreiche herausragende Wissenschaftler zeigten sich angesichts 
der Zahlen bestürzt. Es erschrecke ihn, dass Kollegen die Dienste 
solcher scheinwissenschaftlichen Plattformen nutzten, sagte der 
US-amerikanische Medizin-Nobelpreisträger Randy Schekman am Rande des
diesjährigen Preisträgertreffens in Lindau. Es gehe um die 
Glaubwürdigkeit von Wissenschaft, so der US-Mediziner Ferid Murad, 
ebenfalls ein Nobelpreisträger. Der Münchner Robert Huber, 
Chemie-Nobelpreisträger von 1988, spricht von Betrug: "So was muss 
gestoppt werden." Der Göttinger Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell 
sagt: "Wenn das System hat und Leute da nicht nur darauf reinfallen, 
sondern das nutzen, dann muss man das abstellen." Hell warnt jedoch 
vor Eingriffen durch die Politik: "Ich habe Vertrauen, dass die 
Wissenschaft da einen selbstkorrigierenden Mechanismus hat." Der 
Psychologie-Professor und Ombudsmann der Universität Heidelberg, 
Joachim Funke, nennt es ein "Desaster für die Wissenschaft, weil 
damit ungeprüfte Behauptungen in die Welt gesetzt werden und den 
Anschein erwecken, es sei Wissenschaft."
   Große Forschungsgesellschaften und zahlreiche deutsche Hochschulen
erklärten überwiegend, das Phänomen zwar prinzipiell zu kennen, 
zeigten sich jedoch vom Ausmaß erstaunt und verurteilten die 
Praktiken der Fake-Verlage. Aus Sicht der Helmholtz-Gemeinschaft  
sind die scheinwissenschaftlichen Verleger "eine äußerst negative und
problematische Erscheinung des wissenschaftlichen Publikations- und 
Kommunikationssystems, gegen die mit allen rechtlichen Möglichkeiten 
konsequent vorgegangen werden muss". Sie gefährdeten "nicht nur den 
Ruf einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler", sondern auch
"das Vertrauen in die Wissenschaft selbst". Betroffene 
Wissenschaftler seien aufgeklärt worden. Der Präsident der Nationalen
Akademie der Wissenschaften, Jörg Hacker, plädiert für eine offensive
Vorgehensweise gegen solche Publikationen. Die 
Fraunhofer-Gesellschaft begrüßte die Recherchen und erklärte: "Die 
Schaffung eines Bewusstseins für derartige unlautere Praktiken und 
ihre Konsequenzen ist ein wichtiger Schritt, um derartige 
Machenschaften zu stoppen." Gerd Antes, Direktor der Cochrane 
Deutschland Stiftung, kritisierte Forscher, die absichtlich bei 
Fake-Verlagen publizieren, um eine wissenschaftliche Prüfung zu 
umgehen: "Ich finde es hochgradig unverantwortlich von seriösen 
Wissenschaftlern dort zu publizieren, wo erkennbar und vorsätzlich 
unseriösen Autoren der Raum gegeben wird und die damit aufzuwerten."
   Die Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat
zu diesem Thema zusammen mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin 175.000 
veröffentlichte Forschungsartikel von fünf der wichtigsten 
scheinwissenschaftlichen Plattformen ausgewertet. Beteiligt an den 
gut neunmonatigen Recherchen waren auch Reporterinnen und Reporter 18
weiterer Medien, u. a. aller ARD-Landesrundfunkanstalten und des 
Deutschlandfunks sowie von Le Monde (Frankreich), The New Yorker 
(USA), ORF (Österreich), Aftenposten (Norwegen), The Indian Express 
(Indien) und des koreanischen Investigativportals Newstapa. 
Reporterinnen und Reporter der beteiligten Medien haben bei den 
Pseudoverlagen erfolgreich zahlreiche unwissenschaftliche Papiere 
veröffentlicht und sind auf mehreren ihrer Konferenzen aufgetreten. 
Sie veröffentlichen ab Donnerstag, 19. Juli, weltweit die Ergebnisse 
ihrer Recherchen.
   Das Erste zeigt dazu im Rahmen seiner Reihe "Exclusiv im Ersten" 
am Montag, 23. Juli, 21.45 Uhr, die Dokumentation "Fake Science - Die
Lügenmacher". Das Radioprogramm NDR Info sendet vom 19. bis 25. Juli 
die sechsteilige Podcastreihe "Fake Science: Wissenschaft auf 
Abwegen" jeweils werktags um 7.08 Uhr und 16.08 Uhr. Die Podcasts 
sind auch im Internet unter ndr.de/info abrufbar. Das Süddeutsche 
Zeitung Magazin berichtet in seiner Titelgeschichte "Die Ware 
Wahrheit" am Freitag, 20. Juli. Auf Grundlage von WDR-Recherchen hat 
auch der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe dieses Thema 
aufgegriffen.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Ralf Pleßmann
Tel.: 040/4156-2333
Mail: r.plessmann(at)ndr.de
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