Welt-Alzheimertag: "Die Behandlung erfolgt zu spät"
(ots) - Der Münchner Molekularbiologe Prof. Dr. Christian 
Haass zählt zu den renommiertesten Alzheimer-Forschern weltweit. Für 
seine Arbeiten zur Entstehung der Krankheit wurde er mit dem Brain 
Prize ausgezeichnet, der unter Hirnforschern ähnlich angesehen ist 
wie der Nobelpreis. Am 30. September erhält der 59-Jährige zudem den 
mit 60.000 Euro dotierten "Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis" - für 
wegweisende Erkenntnisse über die Mechanismen von Demenz. Haass ist 
Sprecher des Münchner Standorts des Deutschen Zentrums für 
Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Wir haben mit ihm über seine 
wissenschaftlichen Erkenntnisse gesprochen - und über mögliche 
Früherkennungstests, Impfstoffe und Medikamente gegen Alzheimer.
   http://ots.de/SCJfT4
   Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren als Alzheimer-Forscher. Was 
waren in dieser Zeit Ihre wichtigsten wissenschaftlichen 
Erkenntnisse?
   Prof. Dr. Christian Haass: Das erste große Highlight meines 
Forscherlebens erlebte ich 1992. Da haben wir das gesamte Feld der 
damaligen Alzheimer-Forschung auf den Kopf gestellt und einen 
Neustart veranlasst.
   Das müssen Sie genauer erklären.
   Prof. Haass: Zu den auffälligsten Veränderungen in den Gehirnen 
von Alzheimer-Patienten gehören verklumpte Eiweiß-Ablagerungen, so 
genannte Amyloid-Plaques. Man dachte lange Zeit, das Amyloid entstehe
erst als Teil des Krankheitsprozesses. Aber das war falsch. Jeder 
Mensch produziert Amyloid - und zwar von Geburt an.
   Wie haben Sie das herausgefunden?
   Prof. Haass: Durch einen ganz einfachen Trick: Wie haben 
menschliche Nierenzellen radioaktiv markiert und konnten dadurch 
nachweisen, dass diese Zellen Amyloid auf natürlichem Weg dauerhaft 
produzieren. Diese Erkenntnis wurde wenig später zur Titelgeschichte 
im Wissenschaftsmagazin Nature.
   Wie kamen Sie darauf, Nierenzellen zu verwenden? Alzheimer ist 
schließlich keine Nierenkrankheit.
   Prof. Haass: Wir hatten diese Zellen gerade im Labor vorrätig - im
Prinzip hätten es auch andere Zellen sein können. Nach der Entdeckung
des Amyloids auch in gesunden Menschen war die zweite wichtige 
wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Immunzellen des Gehirns im 
Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung nicht stark genug aktiviert sind
- man muss sie also stimulieren und nicht beruhigen. Die dritte 
Erkenntnis dreht sich um ein Enzym, das mit der Entstehung von 
Amyloid zu tun hat - dieses Enzym funktioniert im Prinzip wie eine 
Papierschere. Aber es war extrem kompliziert und hat Jahre gedauert, 
bis wir die Funktionsweise dieses Enzyms im Detail verstanden haben.
   Ihre gesamte Forscherkarriere dreht sich also um dieses Eiweiß 
Amyloid. Aus Ihren Erkenntnissen haben Sie die 
Amyloid-Kaskaden-Hypothese entwickelt? Was hat es damit auf sich?
   Prof. Haass: Ganz oben in der Kaskade steht das Amyloid, es ist 
der Auslöser der Erkrankung, daran gibt es nichts zu rütteln - 
unabhängig davon, dass auch gesunde Menschen Amyloid produzieren. 
Aber bei Alzheimer-Patienten bildet das Amyloid, vereinfacht 
ausgedrückt, dann diese Plaques, diese Verklumpungen. Es setzt damit 
eine Reaktionskette in Gang, die letztlich zum Tod von Hirnzellen 
führt. Ein wichtiger Punkt dabei ist: Wenn das Amyloid einmal die 
Erkrankung ausgelöst hat, dann folgt alles weitere sehr 
wahrscheinlich unabhängig von Amyloid. Dann breiten sich zum Beispiel
so genannte TAU-Proteine aus, also weitere Ablagerungen an den 
Nervenzellen. Das Amyloid ist damit zwar der Auslöser der Erkrankung,
aber nicht die einzige Ursache.
   Woran liegt es, dass bisherige Alzheimer-Medikamente noch nicht 
den gewünschten Erfolg gebracht haben?
   Prof. Haass: Das große Problem bei allen Behandlungen besteht 
darin, dass sie zu spät erfolgen, egal, welches Medikament man nimmt.
Wenn die Patienten in die Klinik kommen, ist das Gehirn bereits 
teilweise zerstört, und zwar unwiederbringlich. Darüber hinaus ist 
die Amyloidkaskade bereits seit langem in Gang gesetzt und läuft 
bereits unabhängig von ihrem Auslöser, dem Amyloid, ab. Wir kommen 
schlicht und einfach zu spät, dramatisch zu spät, ich spreche hier 
von 20 bis 30 Jahren.
   Man bräuchte also einen Früherkennungstest?
   Prof. Haass: So ist es, das fehlt momentan. Wir müssten damit 
allerdings extrem früh anfangen, zu einer Zeit, in der die Patienten 
noch komplett frei sind von Symptomen. Es gibt bereits einen sehr 
schönen Test, der am DZNE in Tübingen entwickelt wurde - aber er 
zeigt eben nur an, ab wann die Zerstörung des Gehirns erfolgt. Das 
ist zu spät, aber dieser Test eignet sich hervorragend, um das 
Fortschreiten des Nervenzelltodes bzw. dessen Verhinderung zu 
verfolgen.
   Gibt es realistische Ansätze für eine wirkungsvolle 
Alzheimer-Therapie?
   Prof. Haass: Ich würde es so sagen: Es gibt bereits sinnvolle 
Medikamente, die man aber alle nochmal testen sollte - allerdings 
früh genug. Es gibt jetzt klinische Studien mit genetisch 
vorbelasteten Patienten, bei denen wir wissen, dass sie die Krankheit
hundertprozentig bekommen werden und wann. Diese Patienten werden zum
frühestmöglichen Zeitpunkt behandelt, also ab dem Alter von 18 
Jahren. Damit hätten wir schon viel früher starten sollen - denn so 
können wir herausfinden, wie die Krankheit funktioniert und wie man 
sie verhindern kann. Das geht nur mit Patienten, die noch komplett 
gesund sind. Meiner Ansicht nach brauchen wir nicht 5.000 neue 
Medikamente, sondern wir sollten die, die wir bereits haben, nochmal 
richtig und früh genug testen - sie sind nämlich gar nicht so 
schlecht, wie sie oft gemacht werden.
   Wie lange wird es dauern, bis ein massentauglicher 
Früherkennungstest auf den Markt kommt?
   Prof. Haass: Das ist leider nicht vorhersagbar.
   Und wie sieht es mit der Entwicklung von Impfstoffen aus?
   Prof. Haass: Impfstoffe gibt es im Prinzip bereits und sie haben 
meiner Meinung nach zumindest zum Teil spektakuläre Effekte. Sie 
können die Bildung von Plaques verhindern und bestehende Plaques 
reduzieren. Leider haben auch sie den Nachteil, dass sie es bisher 
nicht geschafft haben, das Gedächtnis zu stabilisieren - weil die 
Impfung zu spät erfolgt, wenn die Amyloid-Kaskade längst gestartet 
ist.
   Woran forschen Sie im Augenblick?
   Prof. Haass: An den Immunzellen des Gehirns. Im Jahr 2013 wurden 
Genveränderungen entdeckt, die das Risiko für Alzheimer dramatisch 
erhöhen können. Diese Gene wurden ausschließlich in den Immunzellen 
des Gehirns exprimiert. Das hat mir zu denken gegeben, denn es kann 
kein Zufall sein, wenn man die ganzen Risikofaktoren auf einen 
Zelltyp reduzieren kann. Also habe ich mit einem ganz kleinen Team 
angefangen, daran zu arbeiten, mit einer Technischen Assistentin und 
einem Postdoc. Heute arbeiten praktisch alle meine Labormitarbeiter 
daran.
   Mit welchen Ergebnissen?
   Prof. Haass: Einfach gesagt geht es darum, die Immunzellen gezielt
zu aktivieren, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Wir sind 
da schon relativ weit, aber es gibt auch viel Konkurrenz. Fast alle 
großen Pharma-Unternehmen forschen an Alzheimer und ich habe auch 
schon viele Anfragen zur Zusammenarbeit bekommen.
   Was halten Sie von Tipps zur Vorbeugung gegen Alzheimer: Genug 
Schlaf, kein Übergewicht, gesunde Ernährung, viel Sport, wenig 
Alkohol, nicht rauchen?
   Prof. Haass: Das sind die üblichen Binsenweisheiten, die man seit 
vielen Jahren kennt. Natürlich gibt es Risikofaktoren wie 
Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Diabetes. Und natürlich sollten wir 
körperlich und geistig aktiv bleiben. Damit kann man die Krankheit 
vielleicht leicht beeinflussen. Aber man kann sie durch noch so viel 
Sport und Sudoku nicht stoppen oder gar heilen.
   Haben Sie Angst, eines Tages selbst an Alzheimer zu erkranken?
   Prof. Haass: Ja klar. Aber ich verdränge das. Ich habe mir zum 
Beispiel mein eigenes Risikoprofil nie angesehen.
   Warum nicht?
   Prof. Haass: Weil ich dann immer, wenn ich mal etwas vergesse, 
denken würde: Oh, jetzt ist die Krankheit ausgebrochen.
   Was wünschen Sie sich als Alzheimer-Forscher?
   Prof. Haass: Dass man uns mehr Zeit lässt und weniger öffentlichen
Druck ausübt. Alzheimer ist ein globales Problem und wir müssen hier 
global zusammenarbeiten. Es gibt Probleme, die können wir nicht mehr 
alleine lösen. Das gilt für die globale Erwärmung, aber genauso für 
die Demenz.
   Das Interview finden Sie auch auf Pharma Fakten: 
http://ots.de/WxI8HG.
Pressekontakt:
Redaktion Pharma Fakten
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Datum: 19.09.2019 - 08:45 Uhr
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