"AlixPartners Global Automotive Outlook 2021": Schnelle Erholung auf wackeligem Boden: Automobilindustrie muss den zügigen Umbau der Lieferkette wagen
(ots) -
Globaler Markt: Automobilbranche geht dank nie dagewesener Konjunkturprogramme und stärkerer Finanzzahlen besser aus der Krise hervor als erwartet
- Fahrzeugverkäufe wachsen im Jahresvergleich um 8% auf 83 Mio. und erreichen bis 2025
wieder Rekordzahl von 94 Mio.
- Umsatz und Rentabilität steigen 2021 auf Vorkrisenniveau (durchschnittlicher
Fahrzeugpreis gestiegen)
- ROCE der OEMs verzeichnet Anfang 2021 deutlichen Anstieg
Europäischer Markt
- Staatliche Konjunkturprogramme zwanzigmal höher als 2009
- Rekordverkaufszahlen von 2018werden mittelfristig nicht erreicht
- Cash-Reserven im Moment viermal höher als 2008
Lieferketten-Problematik: Nach Investitionsstaus in neue Technologien und Covid-19-Krise
die nächste grosse Herausforderung
- Lage spitzt sich durch höhere Rohstoffkosten pro Fahrzeug (+92%) und Chipmangel zu -
Umbau im laufenden Betrieb nötig
- Europa verdreizehnfacht Batterieproduktion bis 2025 und OEMs produzieren wichtige
Komponenten vermehrt in-house
- Neugestaltung der Wertschöpfungskette für den elektrischen Antriebsstrang nimmt Fahrt
auf
Elektromobilität
- Anteil an Elektrofahrzeugen wächst global bis 2030 auf 28%
- Seit 2019 beinahe Verdreifachung des EV-Volumens in Europa
- Investitionen bis 2025 steigen weitaus stärker als erwartet (weltweit: +41%; Europa: +52%)
- Elektrofahrzeuge erreichen auch in dieser Dekade nicht die Skalenvorteile von Verbrennern
München (ots) - Nach dem Krisenjahr 2020 gehören die Auswirkungen der Covid-19-Krise nicht mehr zu den Hauptsorgen der Automobilindustrie. Allerdings hat das letzte Jahr die Problematik funktionierender Lieferketten als wunden Punkt der Branche für jeden sichtbar gemacht. Die größte Herausforderung ist daher, durch sinnvolle Investitionen die eigene Wertschöpfungskette zu stärken und für kommende Krisen zu wappnen.
Die Hersteller kommen zwar besser aus der Krise als vor einem Jahr erwartet, die regionalen Unterschiede sind jedoch groß. Weltweit werden 2021 etwa 83 Mio. Fahrzeuge verkauft (+8 % vs. 2020), der Rekordwert von 2018 (94 Mio.) wird voraussichtlich bis 2025 erreicht. Während China die Verkaufszahlen von 2019 bereits in diesem Jahr wieder überschreitet, wird in Europa das Vorkrisenniveau mittelfristig nicht erreicht.
Für notwendige Investitionen gibt es dagegen in Europa finanziellen Spielraum - dank höherer Liquidität, niedriger Nettoverschuldung sowie zum Teil höheren Umsätzen und Rentabilität als vor Covid-19. So sind die Cash-Reserven der OEMs und Zulieferer in Europa im Moment viermal höher als noch 2008. Zudem half der Anstieg des durchschnittlichen Verkaufspreises je Neufahrzeug um 2.000 USD (7%), den Volumenrückgang zu kompensieren. Auch der ROCE verzeichnet eine positive Tendenz. In Europa konnten OEMs und Zulieferer nach niedrigen Werten für 2020 (OEMs: 4,2%; Zulieferer: 4,5%) Anfang 2021 einen deutlichen Anstieg vermerken.
Das sind einige zentrale Erkenntnisse aus dem "AlixPartners Global Automotive Outlook 2021". Für die Studie hat die global agierende Beratung in den vergangenen Monaten Bilanzen von mehr als 300 Automobilherstellern und -zulieferern ausgewertet sowie eine Vielzahl von Experteninterviews und Verbraucherumfragen durchgeführt.
"Die Automobilbranche hat sich erstaunlich gut geschlagen.", sagt Jens Haas, Managing Director bei AlixPartners. "Obwohl es noch Jahre dauern wird, bis der Weltmarkt wieder bisherige Höchststände erreicht, sieht es danach aus, dass die Profitabilität der Branche bereits in diesem Jahr wieder das Vorkrisenniveau erreichen kann. Dazu beigetragen haben rigorose Kostenmaßnahmen, staatliche Unterstützungen, die Vermeidung von Rabattschlachten und die schnelle Erholung des chinesischen Marktes."
"Die positiven Entwicklungen verleiten nach einem Jahr voller Hektik dazu, sich im wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise einen Moment der Ruhe zu gönnen.", ergänzt Dr. Marcus Kleinfeld, Managing Director bei AlixPartners und Co-Autor der globalen Studie. "Für OEMs kommt es jetzt darauf an, die Erholung zu nutzen, um vor allem ihre Lieferketten auf eine strukturell verbesserte Basis zu stellen. Während die Branche die kurzfristigen Herausforderungen wie gewohnt gut meistert, wird sich noch erweisen, in welchem Maß die Industrie bereit ist, durch Strukturmaßnahmen - die in der Regel auch mit Zusatzkosten daherkommen - ihre Lieferketten langfristig für größere Volumenschwankungen stabil zu machen."
Staatliche Konjunkturprogramme um vielfaches größer als 2009
Die guten aktuellen Finanzzahlen hat die Automobilindustrie auch den immensen staatlichen Konjunkturprogrammen der vergangenen Monate zu verdanken. Diese waren global siebenmal höher als 2009 (insgesamt 13,7 Bill. USD). In Europa (Deutschland, UK, Frankreich, Italien) belief sich Höhe der finanziellen Hilfen insgesamt sogar fast auf das Zwanzigfache im Vergleich zur Finanzkrise (2020: 3,40 Bill. USD; 2009: 0,17 Bill. USD).
Lieferketten mit hoher Anfälligkeit
Die Lieferketten-Problematik als Hauptthema der Industrie kann auch der Wirtschaftsaufschwung der nächsten Monate nicht kaschieren. So verdoppelten sich die Rohstoffkosten pro Fahrzeug seit 2020 auf ein Rekordhoch von über 3.600 USD (+92%). Für 2021 wird eine leichte Entspannung erwartet, eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau ist aber noch nicht in Sicht. Grund ist unter anderem die mangelnde Verfügbarkeit fast aller wichtigen Rohstoffe.
Allein die Chip-Knappheit wird weltweit zu einem Produktionsausfall von bis zu vier Mio. Fahrzeugen führen. Die Chip-Hersteller kommen der steigenden Nachfrage nicht nur in der Automobilindustrie kaum nach. Aktuell werden Bestellungen von Ende 2020 erst im September 2021 bedient. Dies führt vermehrt zu Produktionsstopps in Automobilfabriken weltweit. Mit einer Entspannung der Situation wird erst 2022 gerechnet.
"Die Automobilindustrie sieht sich mit einer Negativspirale konfrontiert, die es zu durchbrechen gilt. Einzelereignisse wie die Havarie der Ever Given oder der Brand in der japanischen Chipfabrik im März haben das Problem jedoch nicht verursacht, sondern nur weiter verstärkt.", erklärt Dr. Marcus Kleinfeld, Managing Director bei AlixPartners. "In der Industrie 4.0 lösen Elektrochips nach und nach Öl als Motor fast jeder Wirtschaftsbranche ab - und ein Autobauer, der in den kommenden Jahren weniger Chips benötigt, ist längst nicht mehr denkbar."
Elektroautos und Batterieproduktion auf dem Vormarsch - vor allem in Europa
In der Lieferkette der Autobauer besteht nicht nur aufgrund des Rohstoffmangels, sondern in erster Linie durch die Umstellung auf neue Technologien Anpassungsbedarf. Der E-Anteil inklusive Plug-Ins am Gesamtmarkt wird bis 2030 global voraussichtlich 28% und in Europa sogar mehr als ein Drittel (42%) betragen. Allein in Europa hat sich der Verkauf von Elektrofahrzeugen seit 2019 fast verdreifacht. Auch die Regierungen unterstützen diese Umstellung flächendeckend. So verbieten 14 EU-Länder und China bis spätestens 2035 den Verkauf von Verbrennern. Zudem ergibt die AlixPartners Analyse, dass die Investitionen in Elektromobilität bis 2025 weitaus stärker steigen als noch im letzten Jahr erwartet (weltweit: +41%; Europa: +52%).
Allerdings besteht weiterhin ein Kostennachteil von Elektroautos gegenüber den klassischen Verbrennern von bis zu 11.000 USD, der sich langsamer schließt als zuvor erwartet. "Um das angestrebte schnelle Absatzwachstum von Elektrofahrzeugen zu ermöglichen, sind staatliche Anreize auf jeden Fall weiterhin erforderlich. Die Ziele können nicht allein durch Käufer erreicht werden, die vom Wandel zur Elektromobilität überzeugt sind und sich diesen dazu auch noch leisten können." sagt Jens Haas.
Ein wichtiger Teil der Lieferkette, der auch für die höheren Kosten bei Elektroautos verantwortlich ist, betrifft die Batterieproduktion. China gilt hier weiterhin als Vorreiter und wird bis 2025 seine Produktionskapazität auf 750 GWh ausbauen. Europa holt dagegen weiter auf und wird im selben Zeitraum seine Kapazitäten auf 369 GWh verdreizehnfachen. Bereits im nächsten Jahr werden hier genug Batterien für den eigenen Markt produziert. Fast die Hälfte (44%) der europäischen Produktion ist in Deutschland angesiedelt. Der weltweite Ausbau führt dazu, dass die Kosten pro Batteriepack bis 2026 auf 100 USD/kWh sinken werden - 2016 betrug der Preis noch 350 USD/kWh.
Vermehrt in-house-Produktion wichtiger Elektro-Komponenten
Die rückläufigen Volumina an Verbrennern erfordern bis 2027 die Umwandlung von mehr als 100 Werken weltweit, davon 40% der derzeitigen EMEA-Werke. Im Zuge der Entwicklung neuer Strukturen ist es für auf Verbrenner spezialisierte Zulieferer problematisch, dass OEMs mittlerweile Teile der Lieferkette selbst übernehmen und ihnen so Ausgleichsmöglichkeiten nehmen. Bei Elektroantrieben beispielsweise wird weltweit bis 2025 bereits ein erheblicher Anteil der Wertschöpfung (50%) von den Herstellern selbst oder in Joint Ventures produziert. Besonders groß ist das Engagement der meisten OEMs in der Batterie-Wertschöpfungskette.
"Der Druck auf Zulieferer, die vom Verbrennungsmotor abhängen, erhöht sich weiter und wird zwangsläufig zu Restrukturierungen und Konsolidierung führen müssen.", so Jens Haas. "Der Elektroantrieb besteht ohnehin schon aus weit weniger Komponenten als der Verbrenner und die Batterie als wichtigste Komponente spielt für diese Zulieferer keine Rolle. Wenn die Hersteller nun auch noch mehr Wertschöpfung bei den anderen Komponenten integrieren, wird der langfristig verbleibende ''Kuchen'' immer kleiner. Zumal auch Zulieferer aus anderen Segmenten, insbesondere der Fahrzeugelektronik, in diesen Markt drängen."
Der Trend zur Zusammenarbeit von OEMs setzt sich in diesem Jahr weiter fort. Die Anzahl an CASE-Partnerschaften (Connected, Autonomous, Shared, Electric) stieg zum Beispiel um 27%. Im Bereich Elektrifizierung beträgt das Wachstum bei den Kooperationen 38%. In naher Zukunft wird diese Entwicklung ebenso die wichtiger werdende Softwareentwicklung betreffen. So benötigen Fahrzeuge heute bis zu 200 Mio. Codezeilen, dreimal so viel wie noch 2005. Hersteller kämpfen bereits jetzt damit, rechtzeitig bis zur Einführung autonomer Systeme nicht nur bei Komponenten, sondern auch bei der Entwicklung von Software genug Erfahrung zu sammeln. Der "War for Talents" für das Fahrzeug der Zukunft wird sich weiter verschärfen, da nicht mehr nur die großen Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook auf Softwareentwickler angewiesen sind, sondern Autobauer mehr und mehr Ingenieure dieses Fachbereichs benötigen.
Dr. Marcus Kleinfeld resümiert: "Die Automobilbranche ist gut durch die Corona-Krise gekommen. Massive Strukturumbrüche in der Autobranche stehen wieder im Mittelpunkt: Technologiewandel zum E-Fahrzeug, massiver Kapitalbedarf für PHEV/BEV Entwicklung, Produktion und Infrastruktur, Kosteninflation bei Rohmaterialien, Arbeitskraft und Fracht, Software als Differenzierungsfaktor und so weiter. Die kurzfristige Erholung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Branche mittelfristig hohe finanzielle Bürden und strukturelle Änderungen bevorstehen. Die Neugestaltung der Automobilindustrie hat das Planungsstadium endgültig verlassen."
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Datum: 18.06.2021 - 10:41 Uhr
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